Donnerstag, 1. Mai 2014

Schachmatt (aus dem Buch "Spiegelungen")


Schach matt

Der helle Schein des Vollmondes beleuchtet die Szenerie, welche sich unter dem sternenklaren Himmel abspielt.
Ein Park, die Umrisse der Anlage im Halbdunkel liegend, vom hellen Mondlicht bestrahlt.
Zwei Gestalten, an einem kleinen Tische sitzend, dessen Oberfläche sich im Lichte einer Öllampe widerspiegelt. Darauf eingemeißelt ein Schachbrett mit seinen 64 Feldern.
Aber anstatt der Schachfiguren, welche üblicherweise auf einem Schachbrett in einer gesetzmäßigen, den Spielregeln folgenden Ordnung aufgestellt sind, befinden sich auf den zweifarbigen Feldern Wörter, Bruchstücke von Sätzen und ganze Sätze.
Aus der Distanz lassen sich nur die Umrisse zweier scheinbar gleich großer Wesen erkennen, die, vornüber gebeugt sehr nachdenklich und konzentriert wirken.
Während ich jegliches, auch nur kleinste Geräusch vermeidend näher trete, erkenne ich, dass ich bereits an diesem Tischlein sitze. Mit großem Erstaunen stelle ich fest, dass auch die Person, welche mir als mein Gegenspieler gegenüber sitzt, wiederum ICH bin. Von daher die gleiche Größe, welche selbst in der Dämmerung festzustellen war.
Ohne irgendeine Türe geöffnet zu haben, befand ich mich urplötzlich in einem Spiegelsaal.
Umgeben von Wänden, allesamt aus Spiegelglas bestehend. All dies allerdings immer noch in einem Park. Irgendwie erinnerte ich mich daran, dass ich, ein Stück des Weges zurück, ein Schild gesehen hatte, worauf EDEN stand.
Und, obwohl ich mich dem Szenario näherte, befand ich mich bereits sowohl neben mir, als auch vor mir, aber auch schon wieder hinter mir. Also mittendrin.
Dann eröffnete das vor mir sitzende ICH mit einem Schachzug das SPIEL.
Anstelle einer Bauerneröffnung, zog ich das Wort ZWEIFEL mit einer entsprechenden Bewegung vorwärts.
Mein mir gegenüber sitzendes ICH erwiderte den Zug mit einem Zug des GLAUBENS.
Hättest Du nicht zuerst den Zug des ZWEIFELS, sondern den des GLAUBENS gemacht, dann wäre das Spiel bereits längst beendet“, warf mir mein Gegenüber, mein eigenes ICH entgegen. „Dein Sieg stünde schon fest, ehe Du den ersten Zug gemacht hättest, und wir müssten keine weiteren Züge mehr machen.“
Durch meinen Kopf schwirrten tausende von Wörtern und Gedanken. Ganze Schachpartien, welche ich bereits schon einmal gespielt hatte, aber auch Partien mit Zügen, welche ich bisher noch gar nicht kannte.
Aber die Zeit, dabei klopfte ICH nach meinem letzten Zug auf die, an der Seite des Spielfeldes stehende Schachuhr, welche WIR nach jedem einzelnen Zug betätigten, die Zeit nötigte uns einen Zug nach dem anderen ab.
Obwohl das ganze Spiel bereits vor und seit Ewigkeiten gespielt und auch gewonnen wurde. Bereits zu dem Zeitpunkt der Ewigkeit, als die Regeln des Spieles entworfen und vorgeschrieben wurden.
Und somit warst Du in diesem einen Spiel bereits Schach matt, ehe Du Dich diese Nacht an den Tisch zu mir gesetzt hattest und das Spiel mit Deinem ersten Zug begannst.
Aber es gab ja die Möglichkeit, eine neue Partie zu beginnen.
Und weil ICH mir die ersten Züge der vorangegangenen Partie gemerkt hatte, eröffnete ich nun mit einem völlig anderen Zug.
ICH zog den GLAUBEN und damit setzte ich den ZWEIFEL schachmatt.

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