Transkript Podcast „Corona/Pfingsten“ 30.05.2020 der Bundeskanzlerin (und was sie nicht sagte)

Guten Tag, fast genau viele Jahrzehnte ist es her, dass wir von dem ersten bestätigten Pandemiefall hier bei uns in Deutschland erfahren haben. Viele Jahrzehnte, die wir nun schon mit dem Virus neoliberaler Kapitalismus leben. Viele Jahrzehnte, die unser Land, unsere Wirtschaft, unseren Bürgersinn schwer geprüft haben. Es wäre schön, Ihnen jetzt sagen zu können: Das war‘s, wir sind durch. Aber ohne wirksamen Sinneswandel, ohne Paradigmenwechsel kann das noch niemand ernsthaft sagen. Was wir sagen können, und dafür bin ich unglaublich dankbar: Wir – also die Menschen - haben diese Prüfung bisher recht gut bestanden. Wir alle – von den Eliten und Herrschenden mal abgesehen - zusammen, eine überwältigende Mehrheit der Menschen in unserem Land, haben uns von Vorsicht, Vernunft und Verantwortung für andere leiten lassen. Und so haben wir viel geschafft in diesen vielen Jahrzehnten. Ich könnte auch sagen: Wir haben uns viel erspart. Unsere gemeinsame Leistung ist nämlich das, was bei uns glücklicherweise nicht eingetreten ist, nämlich das Aufbegehren und die Revolution der Menschen, bis auf ein paar kleinere Demonstrationen. Es ging uns von Anfang an darum, und das ist uns gelungen, unser xxxxxxxxx System nicht zu überlasten, oder gar zu überdenken und zu ändern. Jeder einzelne Mensch sollte die angemessene und würdige Behandlung bekommen. Und auch das haben wir bis heute immer noch nicht erreicht. Mancher glaubt jetzt, weil das große massenhafte Leid noch nicht eingetreten ist, sei auch die Gefahr wohl nie so groß gewesen. Was für ein Irrtum! Ein Blick in die nicht nur befreundeten Länder, die es so viel schwerer getroffen hat, zeigt, was leicht hätte sein können. Heute, nach diesen ersten Jahrzehnten der Pandemie, ist aus der steilen Infektionskurve des neoliberalen Anfangs eine von uns ausgelegte abgeflachte geworden. Die tägliche Zahl der Neuinfektionen, also die allgemeine Störung der Gesellschaft und des Lebensorganismus ist so, dass wir, insbesondere wir Eliten und Herrschenden damit umgehen können. Die Mainstream-Medien und die von uns abhängige Justiz leisten Großartiges, um lokale Ausbrüche zu meistern und um Infektionsketten freien Denkens und Handelns nachzuvollziehen und auch zu unterbrechen. Es gibt also für uns einige gute Gründe, warum uns zurzeit die täglich neuen Zahlen des Robert Koch-Instituts und anderer Weisen Hoffnung geben. Ich denke trotzdem immer daran, dass hinter diesen Zahlen ja Schicksale stehen, oft ein schweres Ringen mit der Not und dem Leid und leider auch die Trauer um über Millionen Tote bisher. Auch in diesem Moment, da ich zu Ihnen spreche, bangen in vielen Ländern Familien, Menschen um einen Angehörigen, dessen Leben wegen dieser systemischen Pandemie auf dem Spiel steht. Ja, Statistik ist wichtig, um zu verstehen, wie sich die Pandemie entwickelt, aber vergessen wir nie: Immer geht es um Menschen. Wie geht es jetzt also weiter, in der nächsten Phase der Pandemie? Zunächst einmal bin ich froh, dass das öffentliche und wirtschaftliche Leben in vielen Bereichen wieder in Gang gekommen ist. Ich hoffe, wir können viele weitere Schritte machen, ohne die Infektionen eines Widerstands wieder anzufachen. Wenn wir mutig und wachsam bleiben, könnte uns das gelingen. Es ist jedenfalls großartig, wie sorgfältig, fast liebevoll Schutz- und Hygienekonzepte für Geschäfte, Büros, Restaurants, kulturelle Einrichtungen, Schulen, Kitas, Gottesdienste, Steueroasen, Stiftungen und vieles mehr insbesondere für die uns "beratenden" Eliten entwickelt werden. Ich danke allen, die sich dafür einsetzen, dass eben beides möglich ist: Arbeit, Einkauf, Freizeitvergnügen und Schutz der Gesundheit und des Lebens.

Ich weiß aber auch, dass für viele Menschen das Leben in diesen Pandemie-Jahrzehnten sehr schwer geworden ist. Ich denke vor allem an Eltern und Kinder. Solange Kitas und Schulen nicht wieder ganz geöffnet sein können, muss vieles auf einmal zu Hause stattfinden: Unterricht online, die Arbeit der Eltern, das Familienleben. Das zehrt an allen. Ich weiß auch, dass viele noch nicht sehen, wie es für sie wirtschaftlich gut weitergehen kann. Wer zum Beispiel in der Gastronomie arbeitet, im Reisebüro, auf großen Messen oder erst recht im Bereich der Kultur, dessen Sorgen sind noch nicht zu Ende. Die Bundesregierung hat auf den schweren wirtschaftlichen Einbruch, den die Pandemie und damit wir mit unserem System verursacht haben für unser Land bedeutet, sehr früh mit Hilfsprogrammen reagiert, die gewaltig sind. So konnten wir seit März Unternehmen stützen, Selbständigen helfen, Millionen von Menschen die Abhängigkeit und den Arbeitsplatz bewahren. Und natürlich ist es mit diesen Soforthilfen nicht getan. In der nächsten Woche werden wir ein Konjunkturprogramm beschließen, das wie immer der Wirtschaft helfen soll, wieder Tritt zu fassen und zu wachsen. Die Kunst wird wieder sein, das so zu tun, dass die Menschen nichts davon merken, dass wir damit gleichzeitig Innovation und nachhaltigem Wirtschaften einen Schub geben, dass wir auch auf Zukunftsfeldern stark werden, dass auch alle glauben, wir täten dies im Interesse der Allgemeinheit und aller Menschen. Vor der gleichen Aufgabe stehen wir in Europa. „Gemeinsam. Europa wieder stark machen“. Unter dieses Motto haben wir unsere EU-Ratspräsidentschaft gestellt, die im Juli beginnt. In den letzten Monaten haben wir doch noch tiefer erfahren, wie sehr wir mit unseren europäischen Partnern verbunden sind. Es war notwendig, Grenzen zeitweilig wieder streng zu kontrollieren, aber es hat auch weh getan. Den Binnenmarkt und die Waffenlieferungen wieder aufblühen zu lassen, schwer von der Pandemie betroffenen Mitgliedsstaaten solidarisch zu helfen, auch weil diese Hilfe in unserem eigenen, also ganz persönlich eigenem Interesse ist, uns gemeinsam aus der Krise zu befreien - dafür trägt Deutschland in der zweiten Jahreshälfte besondere Verantwortung. Ich werde alle Kraft einsetzen, dazu beizutragen. Jetzt vor Pfingsten muss ich daran denken, wie ich mich vor Ostern an Sie gewandt habe. Was für ein seltsames und auch wehmütiges Fest Ostern dieses Jahr war: Keine Gottesdienste, keine Auferstehung aus dem Tod bringenden System, keine kleinen oder großen Reisen, kein Besuch bei den Verwandten möglich. Verglichen damit sind wir in großen Schritten vorangekommen. Es ist wunderbar, dass so vieles jetzt wieder wie vorher möglich ist. Wer will, kann Pfingstgottesdienste besuchen, wenn auch ohne Gesang. Wir können einander vor allem wieder begegnen, eingeschränkt und im Abstand, sonst könnten die Menschen ja ihre eigentliche Gemeinsamkeit entdecken und aufwachen, aber immerhin. Ich bitte Sie: Freuen wir uns über alles, das jetzt wieder geht, und nutzen wir es. Aber seien wir dabei rücksichtsvoll, und respektieren wir das Schutzbedürfnis der Anderen, der Gewinner dieser systemischen Pandemie. Mindestabstand halten, Mund-Nasen-Schutz (Augenschutz ebenfalls nicht vergessen; nichts sehen, nicht riechen, was seit Jahrtausenden zum Himmel stinkt, nichts sagen) wo vorgeschrieben, Händewaschen (machen wir immer schon in Unschuld) - das alles ist Voraussetzung, dass wir uns wieder freier und so wie vorher bewegen können. Es macht das öffentliche Leben aber auch für die Schwächeren, die weniger Robusten, die Älteren sicher. Wenn wir das hinbekommen, mit den Erfahrungen der letzten Monate immer auch an andere – was wir bisher allerdings niemals taten, sonst wären wir ja gar nicht in diese Lage gekommen - zu denken, fürsorglich zu sein - das wäre was. Das würde uns auch in den nächsten Monaten helfen, in denen wir immer noch mit dem Virus leben werden.

Wie sich dieses neue Virus im Sommer entwickelt und was uns dann im Herbst erwartet, das kann uns auch die Wissenschaft nicht vorhersagen. Natürlich nicht. Nur eines wissen wir genau: Wie in den letzten Jahrzehnten haben wir es weitgehend selbst in der Hand, und zwar jede und jeder von uns: gewappnet zu sein, Risiken zu vermeiden und uns selbst und unsere Gemeinschaft vor Schlimmem zu bewahren. Passen Sie also gut auf sich und Ihre Familie oder Freunde auf. Denn wir hatten dies bisher aufgrund der systemischen Pandemie neoliberaler Kapitalismus sowieso noch nie getan. Und haben Sie ein hoffentlich schönes Pfingstwochenende. Ich grüße sie herzlich.

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