Donnerstag, 1. Mai 2014

Das Kreuz mit dem Kopftuck (aus dem Buch "Spiegelungen")


Das Kreuz mit dem Kopftuch

An einem einsamen, von Menschen verlassenem Orte trafen sich eines Tages ein Kreuz und ein Kopftuch.

Als sie sich so völlig unvorbereitet und unerwartet gegenüber standen, grüßten sie sich recht freundlich, um dann in einen Dialog zu treten.

Na, was machst Du denn in dieser von Gott verlassenen Gegend?“ fragte das Kopftuch das Kreuz.

Ich hänge ein wenig in der Gegend umher, gehe meinen Gedanken nach, und dies völlig unbeachtet und völlig unbelästigt, “ antwortete das Kreuz. „Und was machst Du so?“ setzte es den Dialog fort.

Mir ergeht es genau wie Dir“, antwortete das Kopftuch. „Ich hänge ebenfalls in der Gegend umher, ohne dabei Anstoß zu erregen.“

Wohin führt Dich denn Dein Weg?“ wollte das Kreuz von dem Kopftuch wissen.

Ich suche den Sinn meines Daseins und muss von daher wohl in eine Gegend, in welcher sich Menschen aufhalten“, meinte das Kopftuch. „Und Dich, wohin führt Dich Dein Weg?“

Mir ergeht es ebenso wie Dir, auch ich suche den Sinn meines Daseins und werde diesen wohl ebenfalls nur unter den Menschen finden“, meinte das Kreuz, die Frage des Kopftuches beantwortend.

Dann könnten wir uns doch gemeinsam auf den Weg zu den Menschen machen. Wir haben ja das gleiche Ziel, haben nicht das geringste Problem miteinander, sprechen dieselbe Sprache und verstehen uns doch sehr gut, “ stellte das Kopftuch fest.

Du hast Recht. Es spricht absolut nichts dagegen, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen“, war die zustimmende Antwort des Kreuzes.

Und so machten sie sich, fröhlich miteinander plaudernd auf die Suche nach einer von Menschen bewohnten Gegend.

Die Zeit verrann wie im Fluge, während sie Stück um Stück des gemeinsamen Weges zurücklegten und so plötzlich vor einer Siedlung standen, in welcher es nur so von Menschen unterschiedlichster Arten und Rassen wimmelte.

Ein wenig müde von der Wanderung, setzten sich die Beiden auf eine Bank, welche in der Ortsmitte der Siedlung im Schatten einer Hauswand stand, um sich von den Strapazen des Weges zu erholen.

Da kam ein Mensch weiblichen Geschlechts vorbei. Sah die Beiden auf der Bank liegen, hob das Kopftuch auf und band es sich geschickt um den Kopf. Das Kreuz ließ es liegen.

Mir scheint, dass dies meine Bestimmung sei“, wandte sich das Kopftuch im Vorübergehen an das Kreuz und winkte ihm mit einem kurzen Blick zurück noch ein wenig wehmütig zu.
Schnell rief das Kreuz dem Kopftuch nach: „mach es gut, ich wünsche Dir, dass Du Deinen Sinn und Deine Erfüllung gefunden hast.“

Tags darauf, das Kreuz lag immer noch auf der Bank, kam das weibliche Wesen, das Kopftuch immer noch auf seinem Haupt tragend vorbei.
Achtlos und schnellen Schrittes war es vorüber gegangen und ehe sich das Kreuz noch an das Kopftuch wenden konnte, um es nach seinem Befinden zu befragen, war das Mädchen schon wieder außer Sicht- und Hörweite.

Ein klein bisschen traurig und wehmütig blickte das Kreuz dem Kopftuch hinterher und blieb einsam und alleine auf seiner Bank zurück.

Und während es noch in Gedanken versunken vor sich hin sinnierte, kam ein Mensch männlichen Geschlechts des Weges. Sah das Kreuz auf der Bank liegen und nahm es an sich.

Mit dem Kreuz in der Hand ging dieser Mensch in ein sehr großes Gebäude, in welchem sich sehr viele größere Räume aneinander reihten. Dort, in einem der Räume angekommen, schlug er einen Nagel in eine der Wände, woran er anschließend das Kreuz auf hängte.

Am nächsten Morgen kamen einige Kinder, Mädchen und Jungen gemischt und einen unsäglichen Lärm verbreitend in diesen Raum.

Darunter war auch das Mädchen, welches das Kopftuch an sich genommen und um den Kopf gebunden hatte.

Es ging auf das an der Wand hängende Kreuz zu, riss es mit einem Ruck von der Wand und warf es zu einem geöffneten Fenster hinaus. Dabei rief es unverständliche Sätze und Wortfetzen, welchen man eine gewisses Erzürnen und Wut durchaus entnehmen konnte.

Ein Junge, der dieses beobachtet hatte, rannte nun ebenfalls wutentbrannt, mit einer Zornesröte in seinem Gesicht und ebenfalls erregt und lauthals schreiend auf das Mädchen zu und riss diesem das Kopftuch vom Kopfe und warf es dem Kreuze hinterher.

Es entbrannte ein Streit und Kampf um das Kopftuch und das Kreuz.

Die Beiden, Kreuz und Kopftuch, sich inzwischen draußen im Schmutze der Straße wieder findend, betrachteten sich dieses Geschehen verständnislos.

Sag mal“, wandte sich das Kreuz an das Kopftuch, „was habe ich denn bloß angestellt, dass mich das Mädchen so wutentbrannt auf die Straße geworfen hat?“

Keine Ahnung“, meinte daraufhin das Kopftuch. „Auch ich habe nichts angestellt und dennoch hat mich der Junge gleich hinterher geworfen“.

Und als die Beiden, immer noch nach einer Antwort für das Verhalten der Kinder suchend, wieder einen Blick in den Raum erhaschten, stellten sie fest, dass sich die Kinder darin immer noch sehr heftig stritten, ja sogar rauften.

Was mag die Kinder wohl so erzürnt haben?“, fragte das Kreuz mit einem Blick zum Kopftuch hin.
Keine Ahnung“, meinte dieses darauf. „Es kann nicht an uns liegen, denn wir haben doch keinerlei Probleme mit unserem Aussehen“.

Es kann nur an den Vorstellungen und Sichtweisen der Kinder liegen, dass sie sich so in die Haare kriegen. Die eine schmeißt Dich aus dem Fenster, worauf der Junge mich vom Kopfe des Mädchens reißt und ebenfalls hinterher wirft“.

Schon eigenartige Wesen diese Menschen“, meinte das Kreuz. „Können sich um Sachen und Dinge streiten und raufen, die weder mit sich, noch mit anderen Dingen und Sachen ein Problem haben. Die selber niemals miteinander in Streit geraten würden und könnten.“

Es liegt an den Vorstellungen und Erkenntnissen der Menschen, was und wie sie Dinge und Sachen auslegen und interpretieren“, sagte das Kopftuch. „Sie werden zu Feinden wegen Dingen wie Dir und mir.“

Lass uns wieder gemeinsam an einen Ort gehen der menschenleer ist und an welchem wir gemeinsam unsere Freundschaft genießen können und friedlich nebeneinander existieren können“ meinte das Kreuz und machte sich auf den Weg. Das Kopftuch schloss sich sofort an und fröhlich gingen sie Hand in Hand ihres Weges.

In der Ferne hörte man allerdings immer noch, wie sich die Menschen stritten und bekriegten, obwohl die Ursachen ihres Streites, nämlich das Kreuz und das Kopftuch sich längst aus dem Staub gemacht hatten.

Aus den Wortfetzen konnte man hin und wieder entnehmen, um was sich der Streit drehte. „Es kommt mir kein Kreuz an die Wand.“

Von wegen. Das Kreuz bleibt hängen. Aber dieses Kopftuch hat hier nichts zu suchen. Nimm es endlich ab.“

Und so ging es weiter, immer wieder dieselben Streitigkeiten. Obwohl sich die Ursachen längst auf den Weg gemacht hatten, um keinen Anlass mehr für Streitigkeiten zu geben.

Allmählich aber, je mehr und weiter sie sich dem Ort der Streitigkeiten entfernten, hörten sowohl das Kreuz, als auch das Kopftuch nichts mehr von alledem.

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