Das
Kreuz mit dem Kopftuch
An
einem einsamen, von Menschen verlassenem Orte trafen sich eines Tages
ein Kreuz und ein Kopftuch.
Als
sie sich so völlig unvorbereitet und unerwartet gegenüber standen,
grüßten sie sich recht freundlich, um dann in einen Dialog zu
treten.
„Na,
was machst Du denn in dieser von Gott verlassenen Gegend?“ fragte
das Kopftuch das Kreuz.
„Ich
hänge ein wenig in der Gegend umher, gehe meinen Gedanken nach, und
dies völlig unbeachtet und völlig unbelästigt, “ antwortete das
Kreuz. „Und was machst Du so?“ setzte es den Dialog fort.
„Mir
ergeht es genau wie Dir“, antwortete das Kopftuch. „Ich hänge
ebenfalls in der Gegend umher, ohne dabei Anstoß zu erregen.“
„Wohin
führt Dich denn Dein Weg?“ wollte das Kreuz von dem Kopftuch
wissen.
„Ich
suche den Sinn meines Daseins und muss von daher wohl in eine Gegend,
in welcher sich Menschen aufhalten“, meinte das Kopftuch. „Und
Dich, wohin führt Dich Dein Weg?“
„Mir
ergeht es ebenso wie Dir, auch ich suche den Sinn meines Daseins und
werde diesen wohl ebenfalls nur unter den Menschen finden“, meinte
das Kreuz, die Frage des Kopftuches beantwortend.
„Dann
könnten wir uns doch gemeinsam auf den Weg zu den Menschen machen.
Wir haben ja das gleiche Ziel, haben nicht das geringste Problem
miteinander, sprechen dieselbe Sprache und verstehen uns doch sehr
gut, “ stellte das Kopftuch fest.
„Du
hast Recht. Es spricht absolut nichts dagegen, dass wir uns gemeinsam
auf den Weg machen“, war die zustimmende Antwort des Kreuzes.
Und
so machten sie sich, fröhlich miteinander plaudernd auf die Suche
nach einer von Menschen bewohnten Gegend.
Die
Zeit verrann wie im Fluge, während sie Stück um Stück des
gemeinsamen Weges zurücklegten und so plötzlich vor einer Siedlung
standen, in welcher es nur so von Menschen unterschiedlichster Arten
und Rassen wimmelte.
Ein
wenig müde von der Wanderung, setzten sich die Beiden auf eine Bank,
welche in der Ortsmitte der Siedlung im Schatten einer Hauswand
stand, um sich von den Strapazen des Weges zu erholen.
Da
kam ein Mensch weiblichen Geschlechts vorbei. Sah die Beiden auf der
Bank liegen, hob das Kopftuch auf und band es sich geschickt um den
Kopf. Das Kreuz ließ es liegen.
„Mir
scheint, dass dies meine Bestimmung sei“, wandte sich das Kopftuch
im Vorübergehen an das Kreuz und winkte ihm mit einem kurzen Blick
zurück noch ein wenig wehmütig zu.
Schnell
rief das Kreuz dem Kopftuch nach: „mach es gut, ich wünsche Dir,
dass Du Deinen Sinn und Deine Erfüllung gefunden hast.“
Tags
darauf, das Kreuz lag immer noch auf der Bank, kam das weibliche
Wesen, das Kopftuch immer noch auf seinem Haupt tragend vorbei.
Achtlos
und schnellen Schrittes war es vorüber gegangen und ehe sich das
Kreuz noch an das Kopftuch wenden konnte, um es nach seinem Befinden
zu befragen, war das Mädchen schon wieder außer Sicht- und
Hörweite.
Ein
klein bisschen traurig und wehmütig blickte das Kreuz dem Kopftuch
hinterher und blieb einsam und alleine auf seiner Bank zurück.
Und
während es noch in Gedanken versunken vor sich hin sinnierte, kam
ein Mensch männlichen Geschlechts des Weges. Sah das Kreuz auf der
Bank liegen und nahm es an sich.
Mit
dem Kreuz in der Hand ging dieser Mensch in ein sehr großes Gebäude,
in welchem sich sehr viele größere Räume aneinander reihten. Dort,
in einem der Räume angekommen, schlug er einen Nagel in eine der
Wände, woran er anschließend das Kreuz auf hängte.
Am
nächsten Morgen kamen einige Kinder, Mädchen und Jungen gemischt
und einen unsäglichen Lärm verbreitend in diesen Raum.
Darunter
war auch das Mädchen, welches das Kopftuch an sich genommen und um
den Kopf gebunden hatte.
Es
ging auf das an der Wand hängende Kreuz zu, riss es mit einem Ruck
von der Wand und warf es zu einem geöffneten Fenster hinaus. Dabei
rief es unverständliche Sätze und Wortfetzen, welchen man eine
gewisses Erzürnen und Wut durchaus entnehmen konnte.
Ein
Junge, der dieses beobachtet hatte, rannte nun ebenfalls
wutentbrannt, mit einer Zornesröte in seinem Gesicht und ebenfalls
erregt und lauthals schreiend auf das Mädchen zu und riss diesem das
Kopftuch vom Kopfe und warf es dem Kreuze hinterher.
Es
entbrannte ein Streit und Kampf um das Kopftuch und das Kreuz.
Die
Beiden, Kreuz und Kopftuch, sich inzwischen draußen im Schmutze der
Straße wieder findend, betrachteten sich dieses Geschehen
verständnislos.
„Sag
mal“, wandte sich das Kreuz an das Kopftuch, „was habe ich denn
bloß angestellt, dass mich das Mädchen so wutentbrannt auf die
Straße geworfen hat?“
„Keine
Ahnung“, meinte daraufhin das Kopftuch. „Auch ich habe nichts
angestellt und dennoch hat mich der Junge gleich hinterher geworfen“.
Und
als die Beiden, immer noch nach einer Antwort für das Verhalten der
Kinder suchend, wieder einen Blick in den Raum erhaschten, stellten
sie fest, dass sich die Kinder darin immer noch sehr heftig stritten,
ja sogar rauften.
„Was
mag die Kinder wohl so erzürnt haben?“, fragte das Kreuz mit einem
Blick zum Kopftuch hin.
„Keine
Ahnung“, meinte dieses darauf. „Es kann nicht an uns liegen, denn
wir haben doch keinerlei Probleme mit unserem Aussehen“.
„Es
kann nur an den Vorstellungen und Sichtweisen der Kinder liegen, dass
sie sich so in die Haare kriegen. Die eine schmeißt Dich aus dem
Fenster, worauf der Junge mich vom Kopfe des Mädchens reißt und
ebenfalls hinterher wirft“.
„Schon
eigenartige Wesen diese Menschen“, meinte das Kreuz. „Können
sich um Sachen und Dinge streiten und raufen, die weder mit sich,
noch mit anderen Dingen und Sachen ein Problem haben. Die selber
niemals miteinander in Streit geraten würden und könnten.“
„Es
liegt an den Vorstellungen und Erkenntnissen der Menschen, was und
wie sie Dinge und Sachen auslegen und interpretieren“, sagte das
Kopftuch. „Sie werden zu Feinden wegen Dingen wie Dir und mir.“
„Lass
uns wieder gemeinsam an einen Ort gehen der menschenleer ist und an
welchem wir gemeinsam unsere Freundschaft genießen können und
friedlich nebeneinander existieren können“ meinte das Kreuz und
machte sich auf den Weg. Das Kopftuch schloss sich sofort an und
fröhlich gingen sie Hand in Hand ihres Weges.
In
der Ferne hörte man allerdings immer noch, wie sich die Menschen
stritten und bekriegten, obwohl die Ursachen ihres Streites, nämlich
das Kreuz und das Kopftuch sich längst aus dem Staub gemacht hatten.
Aus
den Wortfetzen konnte man hin und wieder entnehmen, um was sich der
Streit drehte. „Es kommt mir kein Kreuz an die Wand.“
„Von
wegen. Das Kreuz bleibt hängen. Aber dieses Kopftuch hat hier nichts
zu suchen. Nimm es endlich ab.“
Und
so ging es weiter, immer wieder dieselben Streitigkeiten. Obwohl sich
die Ursachen längst auf den Weg gemacht hatten, um keinen Anlass
mehr für Streitigkeiten zu geben.
Allmählich
aber, je mehr und weiter sie sich dem Ort der Streitigkeiten
entfernten, hörten sowohl das Kreuz, als auch das Kopftuch nichts
mehr von alledem.
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