Das
Gefäß
Eine
sengende Hitze lag über dem Landstrich. Ringsherum nichts als Wüste,
Sand und wieder Sand. Nur in der Ferne ließen sich die Umrisse von
ein paar Hügeln und grünenden Landschaften erkennen.
Wandte
man den Blick in östliche Richtung, dann konnte man allerdings auch
einige Pyramiden erkennen.
Etliche
Menschen, aus der Ferne betrachtet, wie Ameisen wirkend, waren mit
Ausgrabungen beschäftigt. Das Gelände, auf welchem sie sich
bewegten, war streng bewacht und eingezäunt.
Eine
Gruppe von Archäologen und Wissenschaftlern gab Anweisungen, wie und
wo man zu graben hatte und überwachte das Ganze mit Argusaugen.
Menschen
mit Hacken, Schaufeln, Besen und Pinseln, die einen stehend, die
anderen in gebückter Haltung, schienen von ihrer Aufgabe regelrecht
besessen zu sein. Sie gruben, schaufelten und kehrten jeweils große
Mengen an Sand von der Stelle, an welche sie von den Leitern dieser
Expedition beordert wurden.
Stunden
vergingen, Tage und Nächte und sie fuhren in ihrer regen Tätigkeit
fort.
Dann
der lang ersehnte Ausruf eines Grabenden: „hier ist Etwas“!
Wie
auf Kommando hielten alle anderen in ihren Grabungen inne, blickten
zu der Stelle, von welcher der Ausruf kam, legten ihre Werkzeuge
nieder und rannten gleichzeitig los.
Eine
Traube von Menschen bildete sich um eine zirka sechs Meter tiefe
Grube. Alle starrten in dieses Loch, in welchem einer der Arbeiter
regungslos vor Etwas, das von oben herab noch nicht zu identifizieren
war, in gebückter Haltung verharrte.
Über
eine provisorische Holzleiter, die an eine Wand der Grube angelehnt
war, stieg ein Archäologe nach dem anderen hinab. Sie betrachteten,
dabei sich äußerst vorsichtig bewegend nacheinander, was da vor
ihnen, teilweise vom Sand befreit lag.
Was
da zum Vorschein gekommen war, schien ein Behältnis, ein Gefäß aus
früheren Jahrtausenden zu sein.
Als
man es vorsichtig und ohne den geringsten Schaden daran zu
verursachen geborgen hatte, machten sich sofort die Wissenschaftler
der unterschiedlichsten Fachrichtungen daran, es zu untersuchen,
seine Herkunft und das Alter zu bestimmen.
Da
wurde gemessen, gewogen, Farbe, Alter und Material bestimmt. Dabei
entbrannte unter den Wissenschaftlern ein Streit darüber, wer mit
welchen Thesen Recht hatte.
Die
jeweiligen Wissenschaftler mit ihren Meinungen fanden auch
entsprechend Anhänger für die von ihnen vertretene These. Mit aller
Macht, wissenschaftlichen Formeln und Erkenntnissen wurden diese
Thesen jeweils von den Sachverständigen kundgetan und als
unwiderlegbar dargestellt.
Jeder
Wissenschaftszweig legte sein eigenes wissenschaftliches Traktat vor
und behauptete, dass die Erkenntnisse der anderen Wissenschaftler
falsch seien, bzw. falsche Schlussfolgerungen aus den vorhandenen
Daten gezogen würden. Dieser Streit hatte inzwischen Formen
angenommen, dass die Thesen mit aller Macht und Gewalt vertreten
wurden. Fundamentalismus pur war an der Tagesordnung. Und alles nur,
wegen der äußerlichen Erscheinung eines uralten Gefäßes, welches
luftdicht verschlossen zu sein schien.
Ein
Kind, welches die Ausgrabungen von Anfang an mit verfolgt und
beobachtet hatte, wunderte sich über diese Streitigkeiten. In einem
unbeobachteten Augenblick griff es sich einen Hammer und zerschlug
das Gefäß.
Lautes
Gebrüll und ungläubiges Entsetzen ausdrückende Schreie aus den
vielen Kehlen der Wissenschaftler lenkte die Aufmerksamkeit aller
Anwesenden auf das Geschehen und hin zu dem Kinde, als sie bemerkten,
was mit ihrem Objekt der Begierde geschehen war.
Das
Kind griff, davon unbeirrt in das zerschlagene Gefäß. Es hatte mit
dem Hammer auch nur einen geringen Schaden angerichtet. Nur durch
eine kleine Öffnung konnte es nun mit seinen Kinderhändchen in das
Gefäß hinein fassen und ergreifen, was sich darin befand.
Zum
Vorschein brachte es die verschiedensten Schriftrollen. Die
Schriftzeichen darauf mussten wohl schon sehr alt sein, denn es
konnte nicht entziffern, was darauf geschrieben stand, obwohl es
bereits des Lesens mächtig war.
Es
nahm die Schriftrollen, ging auf die, wild gestikulierenden
Wissenschaftler zu und sagte: „was streiten sie sich eigentlich so
um das Gefäß und dessen Herkunft? Hier haben sie den Inhalt
desselben. Mit diesem erfahren sie wohl weit mehr, als es ihre
gesamten wissenschaftlichen Arbeiten bezüglich des Gefäßes jemals
ergeben werden. Sie streiten sich um die unwesentlichen
Äußerlichkeiten und übersehen dabei das Wichtigste, nämlich den
Inhalt.
Die
Wahrheit lässt sich nämlich nicht am Äußeren eines und am Gefäß
selbst erkennen, sondern nur an dessen Inhalt.“
Gefäße
sind eben das Eine, der Inhalt aber das Andere. Genauso wie eben
Propheten nicht die Wahrheit und Wirklichkeit der Prophezeiung selbst
darstellen, sondern zunächst nur die Überbringer dessen sind, was
sie prophezeien.
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